Geißler hat folgende Antworten auf die Theodizee-Frage zusammengetragen und ihnen wie folgt widersprochen:
1. Leiden ist Strafe für die Sünden
Für manche Mitglieder der Tea-Party seien „Tsunamis nicht die Folge von tektonischen Plattenverschiebungen, sondern … Folgen vom Feiern, Zechen und Tanzen in Kneipen und Bars bis hin zu Übertretungen irgendwelcher alberner Sabbatvorschriften.“ Doch was für ein Gottesbild komme damit zum Ausdruck? Es würde ja bedeuten, dass Gott selbst in die Gestalt des Ko-Piloten der German Wings Maschine getreten sei, um die Maschine in den Alpen zerschellen zu lassen. Und ich gebe Geißler recht: An so einen Gott glaube ich nicht.
2. Die Leiden sind von Gott geschickt
3. Gott nach dem Leid zu fragen (Rechtfertigung Gottes), ist eine Anmaßung des Menschen
Auch hier kommt Luther ins Spiel. Luther habe es als Blasphemie bezeichnet, Gott nach dem Grund von Leid zu fragen. Das passt Geißler gar nicht: „Luthers Gott solidarisiert sich nicht wie Jesus mit dem Leid der Menschen, sondern lässt sie darin allein.“ Das sei nur ein illegitimer Versuch, dass man „die Klappe halten“ und „keine dummen Fragen stellen“ solle. Dafür ist Geißler nicht der Typ. Und als Theologe füge ich hinzu: Es entspricht auch nicht dem jüdisch-christlichen Menschenbild. Demnach ist der Mensch Gottes Ebenbild, also sein permanenter Kommunikationspartner. Mit der Kommunikation kann es aber nicht weit her sein, wenn man nicht die Fragen aussprechen kann, die sich aufdrängen, wenn man das Leben und die Welt ernst nimmt.
4. Gott will geliebt werden, dies setzt aber den freien Willen des Menschen voraus, auch das Böse zu tun.
Ohne das Böse gibt es keinen freien Willen Das ist für Geißler die „raffinierteste Erfindung der Theologie“. Gott wolle geliebt werden. Aber was solle man von dieser erwünschten Liebe Gottes halten, wenn dafür Ungeheuerlichkeiten wie Auschwitz oder „Terrorakte mit schweren Lkws in Nizza und auf einem Berliner Weihnachtsmarkt“ (und in der Stockholmer Drottninggatan) in Kauf genommen würden? Wenn das so ist, würde Geißler gern seine „‚Eintrittskarte‘ in die Schöpfung zurückgeben“.
5. Nicht Gott verursacht das Leid, sondern Hitler, Pol Pot, Assad, Psychopathen und Sadisten
Geißler fragt zurück: „Woher kommt das, wer hat es ermöglicht, dass Menschen so veranlagt sind“? Wenn die Schuld bei Menschen angesiedelt werde, dann werde Gott entlastet. Aber Geißler nimmt Gott in Mithaftung. Denn schließlich habe niemand anderes als Gott es ermöglicht, dass es solche Menschen gibt, die zu Gewalt fähig sind. Für Geißler gilt das Verursacherprinzip – also so etwas wie die Störerhaftung bei öffentlichen WLAN-Hotspots.
6. Leid wird verursacht durch den Teufel, Hexen, Zauberei
Ein gefährliches Pflaster. Auch Luther habe „Hexen“ für schlechtes Wetter verantwortlich gemacht. (Dass es mehr evangelische als katholische Hexenprozesse gab, ist uns Protestanten nicht immer gegenwärtig.) Doch Menschen mit dem Bösen schlechthin zu assoziieren, könne eine gefährliche Gewaltorgie auslösen und schüre zudem gewaltige Ängste. Da halte es Geißler lieber mit Origenes. Der Kirchenvater sei deshalb nie heiliggesprochen worden, weil in seinem Glaubensbild für Teufel und Hölle kein Platz gewesen sei.
7. Gott handelt, wie er will
Wenn Gott alles so mache, wie er es eben haben wolle, dann sei das Willkür. Die Gerechtigkeit Gottes bliebe auf der Strecke.
8. Gott sei Lob und Preis
Nun, hier muss ich gegen Geißler einwenden: Die biblische Tradition kennt nicht nur das Gotteslob, sondern auch die Klage. Sogar die Anklage. Hiob hat Gott derart angeklagt, dass es seinen Freunden absolut unverfroren und gotteslästerlich wurde. Juden (und Christen) haben diese Anklage Gottes zu einem Teil ihrer Heiligen Schrift gemacht.
Und zu welchem Fazit gelangt Geißler?
Und Geißler selbst findet hier einen starken Verbündeten: Jesus von Nazareth. „Er hat der Nächstenliebe, das heißt der Solidarität unter den Menschen, denselben Rang gegeben wie die Gottesliebe.“ In diesem Punkt steckt für Geißler der Sinn des menschlichen Lebens: Dasein für den Nächsten, wenn er in Not ist. Selbst wenn es sich um den Feind handelt. Geißler bringt das in seiner wunderbaren, mit sanftem Sarkasmus unterlegten Ironie auf den Punkt: „Nächstenliebe ist eine Pflicht. Neoliberale und die selige Maggie Thatcher, die im letzten Fünftel ihres Lebens gefüttert werden musste, nannten sie Gefühlsduselei und Gutmenschentum. Aber erst Nächstenliebe und solidarisches Handeln geben dem menschlichen Leben einen Sinn.“ Wenn wir uns für ein besseres Leben einsetzten, sei es nicht so schlimm, wenn sich Zweifel einstellten, ob es wirklich ein „zweites Leben“ gebe. Geißler lädt ein, „all das zu tun, was Gott offensichtlich nicht tut, aber tun müsste, wenn es ihn gäbe“. Er denkt dabei an „Schmerzen lindern, Diktatoren bekämpfen, Folterer bestrafen“.
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